Ich wache auf. Ich setze mich an meine Bettkante. Die Hände links und rechts neben mir aufgestützt.
Durchatmen.
Gedanken kommen, kreisen und ziehen. Aufgewühlt nach dem Festival, das wir mit organisiert und gehalten haben. Volle Kanne blutend (Zyklustag #2) und mit fetter Corona-Infektion. Kopf und Körper glühen. Gleichwohl Ruhe und Weichheit in meinen Knochen und Gliedern.
Die Wohnung hinter meiner Zimmertür sieht aus wie ein Schlachtfeld – Koffer, Kisten, Chaos überall.
Rückblick: +++ Sonntag: Festival-Ende +++ Montagvormittag: positiv getestet. +++ Montagnachmittag: vom Festival-Gelände für eine Nacht auf einen Campingplatz geflüchtet. +++ Dienstagmorgen (gestern): Rückfahrt von Brandenburg nach Bern – 950 km Autofahrt bei über 40 Grad draußen. +++
Stress pur für unsere Nervensysteme.
Und was war das denn bitte, gestern Abend als wir nach Hause kamen?
Ich hatte mich in mein Zimmer verkrochen, wollte nichts mehr hören, sehen, einfach NICHTS mehr wissen von dieser Welt. Und dann dieses Chaos, dieser Dreck. Ich kotze. Ich hasse es. Ich sperre mich ein. Rollladen runter, brülle wie eine Irre «alles Scheiße hier», Tür geknallt, ins Bett geworfen. Vergraben.
Stockfinster. Endlich. Ruhe. Halleluja.
Ruhe …
Stille …
Dunkelheit.
Ich genieße. Ich döse. Ich schlafe fast ein und bin endlich – endlich friedlich. Kein Mucks.
F R E E Z E
Ein Licht – tyrannisch, exzessiv, hemmungslos – schlägt wie bekloppt an meine Lider und zerrt an meinem Blick hinter meinen geschlossenen Augen. Es blitzt immer und immer wieder. Ich öffne sie. Ein Scherz? Scheiße, Mann, was ist das? Ein Gewitter? So wild blitzt es doch nicht mal bei ’nem super krassen Gewitter!?
Jemand vor meinem Fenster, der mich mit dem Blitz seiner Kamera ärgern oder aufheitern will?
Maßlos bezittern die Blitze ununterbrochen mein ganzes Zimmer. In der Finsternis immer wieder ein hell erleuchtetes Zimmer – durch die Rollladen durch. Ich drehe mich zum Fenster – ja, das kommt von draußen.
Ich ziehe den Rollladen hoch. Ich öffne das Fenster. Immer noch Blitzgewitter. Die Silhouette des Baums auf der Terrasse zuckt im Gegenlicht des Himmels – hell, dunkel, hell, hell, dunkel, hell, dunkel, hell, hell, heller, hell-hell. Meine Augen können den Kontrast zwischen Hell und Dunkel kaum abgleichen. Und:
Es ist still! Kein Donner, kein Wind, kein Anzeichen. Ist das abgefahren. So still und ungestüm zugleich.
Und doch, dann. Es fängt leicht an zu regnen, zu winden. Laub-Blätter kommen in Bewegung und kratzen über die Steinplatten der Terrasse. Fangen an, über den Terrassenboden zu fegen. Oha, jetzt fegen auch die Blitze und der Wind durch mein Zimmer. Hm, Fenster jetzt auflassen oder besser schließen? Ich lass‘ es auf. Achrgr… jaaa, das tut gut.
Plötzlich ein Donner, der den Boden unter meinen Füßen, das gesamte Erdreich unter mir für mehrere Sekunden zum Brodeln und Vibrieren bringt. Ein grollendes, wütendes Monster hält in diesem Moment die ganze Welt in Atem.
Jetzt ist Morgen.
Die Nacht hat sich in einen ruhigen Tag verwandelt.
Danke. Danke für dieses Brüllen. Wenigstens auf das Universum ist Verlass.
Es ist abgekühlt. Und auch das tut gut – die Kühle nach dem Feuer, nach dem Wüten. Tom kocht mir gerade eine Kartoffelsuppe; gleich bekomme ich etwas Warmes zu essen. Ich bin wieder weniger wütend und wieder mehr dankbar für das, was passiert ist.
Jerry